Die Fantastischen Vier feiern in diesem Jahr nicht nur 30 Jahre Mauerfall, sondern auch 30 Jahre Bandgeschichte. Ein Gespräch mit Smudo und Michi Beck über abstruse Konzerte im Osten, Nazis als Pannenhelfer, den Mauerfall vor dem Fernseher und hartnäckige Ost-West-Klischees.
Euer erstes Konzert habt ihr im Juli 1989 gegeben, euren Durchbruch hattet ihr dann 1992 mit dem Song “Die da!?!”. Was wäre denn passiert, wenn ihr diesen Durchbruch nicht gehabt hättet? Wart ihr von Anfang an nur darauf aus, großen Erfolg zu haben?
Smudo: Der Erfolg war schon wichtig für uns. Das musste am Anfang nicht gleich bedeuten, dass wir sofort in die Hitparade kommen und viel Geld verdienen müssen. Aber wir haben schon immer den nächsten Schritt angepeilt. Zu Beginn wollten wir erstmal ein Konzert veranstalten. Und dann wollten wir mal eine Schallplatte machen. So ging das dann immer weiter. Wichtig war aber vor allem, dass wir keine längere Phase von Misserfolg hatten. Ich glaube nämlich, dass der gemeinsame Erfolg unserer Arbeit lebensverlängernd wirkt.
Habt ihr auch mal Sachen entgegen eurer persönlichen Vorlieben gemacht, nur um eben diesen Erfolg zu haben?
Smudo: Es kommt schon vor, dass wir Kompromisse machen müssen zwischen unseren künstlerischen Wünschen und den Dingen, die betriebswirtschaftlich wichtig sind. Ein Beispiel dafür war unser Auftritt Anfang der 90er in der Schlagerparade “Musik liegt in der Luft” mit Dieter Thomas Heck. Da geht man eigentlich nicht hin als knallharter Hip-Hopper. Unsere Plattenfirma hat uns aber versichert, dass da zehn Millionen Zuschauer zugucken, die uns alle noch nicht kennen. Und unsere coolen Punkkumpels würden das eh nicht mitkriegen. Was übrigens nicht stimmte.
Michi Beck: Was auch nicht stimmte, ist, dass wir knallharte Hip-Hopper waren.
Smudo: Naja, jedenfalls ist das bis heute einer unser schrecklichsten Auftritte gewesen. Aber im Nachhinein würde ich trotzdem nicht sagen, dass das falsch war.
Michi Beck: Es ist halt wahnsinnig kultig geworden. Diesen Ausschnitt haben hunderttausende Menschen gesehen.
Smudo: Also man kann nicht sagen, dass irgendwelche Fehler, die wir gemacht haben, hätten rückgängig gemacht werden sollen. Selbst Dinge, die nicht so gut liefen, haben uns vorangebracht.
Das heißt, Geld spielte schon eine große Rolle bei euch?
Michi Beck: Klar machen wir manche Dinge, die verkaufsfördernd sind und unsere Popularität erhöhen. Das würden wir nicht machen, wenn wir nicht verkaufen wollen würden. Aber die Grenze ist gezogen, wenn wir wirklich etwas nicht vertreten können.
Smudo: Aus künstlerischer Sicht haben wir diese Grenze noch nie übertreten.
Keine Sau kannte uns und alle wollten die ganze Zeit Udo Lindenberg hören.
Michi Beck
Durch den Mauerfall hattet ihr die Möglichkeit, eure Musik auch den Menschen im Osten des Landes vorzustellen. Könnt ihr euch noch an euer erstes Konzert im Osten erinnern?
Michi Beck: Das war kurz nach der Wende – und wirklich abstrus. Wir haben in der Dresdner Uni-Mensa vor Studenten gespielt. Keine Sau kannte uns, und alle wollten die ganze Zeit Udo Lindenberg hören. Das war in so einem ollen, miefigen Saal, die Studenten alle hinten an der Wand, wir auf der Bühne und dazwischen der leere Raum. Als nach unserem Auftritt unser Manager auch noch Hip-Hop-Musik aufgelegt hat, waren die Leute dann völlig verwirrt. Sie konnten damit einfach nichts anfangen. Das war echte Pionier-Arbeit damals.
Smudo: Also alle Beteiligten – die Zuschauer wie auch wir – hatten echt einen Scheiß-Abend.
Michi Beck: Unser Hotel war auch krass.
Smudo: (lacht) Das Sommerhotel Dresden. Das sah aus wie komplett aus Holz geschnitzt und was auch unvergesslich war…
Michi Beck: … der Burger King-Wagen vor dem Hotel. Gerade ist die Mauer gefallen und als allererstes war Burger King da.
Smudo: Das war so nachkriegsmäßig. Wir kommen da am Bahnhof an, und es sieht aus wie auf einem russischen Basar. Überall wurden DDR-Sachen verkauft oder auch Cola-Dosen, ein tierisches Durcheinander und Gewusel, und mittendrin zwei Trucks von Burger King. Das war so absurd.
Als die Mauer gefallen ist, wart ihr Anfang 20. Wie habt ihr denn diesen Tag miterlebt?
Smudo: Ich erinnere mich, als ob das gestern gewesen wäre. Ich hab das im Wohnzimmer meiner Eltern im Fernsehen gesehen. Ich war 21 Jahre alt – und ich musste weinen. Mich hat das sehr gerührt. Einige meiner Verwandten haben in den Jahren vor dem Mauerfall über die Grenze gemacht. Was gerade noch wie festgemauert dastand, fällt plötzlich einfach weg.
Welche Erfahrungen habt ihr denn mit den Menschen kurz nach der politischen Wende in Ostdeutschland gemacht?
Smudo: Wir haben da ganz erstaunliche Erfahrungen gemacht. Entweder sind die Leute auf unseren Konzerten mit einer großen Offenherzigkeit und Neugier auf uns zugekommen oder eben mit Ablehnung. Ich erinnere mich auch noch an einen wirklich legendären Abend in Schwedt (Brandenburg). Das war damals glaub ich schon Platz vier in den Nazi-Charts
Michi Beck: Platz zwei.
Smudo: Ne, ich weiß noch: Platz vier. Also meiner Meinung nach ist Schwedt ja auch ein ganz trauriges Beispiel dafür, wie eine Stadt veröden kann. Die Bühne, auf der wir da gespielt haben, wurde mittlerweile von den Faschos abgebrannt. Das heißt, der Spaß ist dann also auch schon mal weg. Die restlichen Leute, die noch da waren, sind auch noch weggezogen. Und der arme Bürgermeister sucht händeringend nach irgendwelchen Gründen, dass man in Schwedt bleiben soll. Und da haben wir gespielt, als Haupt-Act auf der Kulturbühne.
Hat den Leuten eure Musik gefallen?
Smudo: Die hatten keine Ahnung, was wir da machen. Aber die Stimmung war gut, es war Stadtfest, es war schönes Wetter, und am Nachmittag ist dann noch eine lustige All-Star-Ossi-Band aufgetreten. Die haben die Hits aus Ostdeutschland gespielt, und alle haben mitgesungen. Die Band hat die Besucher dann auch noch animiert: “Und jetzt alle Polonaise”, dann haben die alle Polonaise gemacht. Und wir stehen da und fragen uns, was denn jetzt hier gerade los ist. “Und jetzt alle auf den Rücken!” Dann haben sich alle auf den Rücken gelegt. “Und jetzt Fahrrad fahren!” Dann haben alle mit den Beinen in der Luft gestrampelt, als ob sie Fahrrad fahren würden. Das war unglaublich.
Michi Beck: Ehrlich? Das hab ich alles schon verdrängt.
Nochmal zurück zu den Nazis in Schwedt: Würdet ihr sagen, dass das ein ostdeutsches Problem ist?
Smudo: Ich bin kein Freund davon, das Image zu pflegen, dass nur im Osten Deutschlands die Nazis sind. Die sind leider überall. Aber speziell in Schwedt war das damals schon was Ordentliches. Wir kommen da an mit unserem Promotion-Fahrzeug – ein alter Opel Admiral – und der ist uns liegengeblieben an der Tankstelle. Auf einmal steht so eine Glatze vor uns, breites Kreuz, mit seinen beiden beglatzten Freunden. “Na wat seid ihr denn für Wessi-Vögel?” Da war uns klar, ein falsches Wort, und es gibt aufs Maul. “Ick kenn’ mich aus mit Autos. Wahrscheinlich der Anlasser.” Dann holt der einen Hammer raus und haut damit auf unseren Anlasser drauf. “Mach nochmal an.” Lief natürlich nicht. “Pech. Ist im Arsch. Tschau.” Und dann ist der abgefahren. Wir haben dann den Wagen 60 Kilometer nach Berlin abschleppen lassen.
Michi Beck: Man muss dazu sagen, das Bedrohliche war ja nie der Hammer, sondern die 16 Glatzenfreunde, die da noch rumstanden.
Smudo: Die 16-jährigen Glatzenfreunde.
Michi Beck: Ne, ne, da stand schon noch eine ganze Clique rum.
Smudo: Wir haben das offensichtlich vor lauter Panik unterschiedlich abgespeichert. Aber das war auf jeden Fall einer unserer krassesten Ost-Gigs. Wir hatten aber auch viele schöne Gigs im Osten.
Hattet ihr vor der Wende schon Berührungspunkte mit der DDR?
Smudo: Ich habe wenige Jahre vor dem Mauerfall mit der Schule eine Klassenreise durch die DDR gemacht und dort sehr viele Leute und die Stimmung kennengelernt. Es gab zum einen die Linientreuen, die gesagt haben, dass die beiden deutschen Hälften doch wirklich sehr verschieden sind. Wir haben aber auch Leute getroffen, die das Leben in der DDR sehr schwierig fanden und sich beispielsweise einfach nur wünschten, mal in Westeuropa Urlaub zu machen.
Auf einmal war Deutschland viel größer, ohne dass ich das großartig mitbekommen habe.
Michi Beck
Michi Beck: Also ich hatte gar keinen Bezug zur DDR. Das hat mich ehrlich gesagt überhaupt nicht interessiert. Wenn du dort keine Verwandten hattest und auch nie hingefahren bist, war das wie ein anderes Land. Es war ja nicht so, dass man das Gefühl hatte, die Leute in der DDR wären unsere Brüder oder so. Heute bereue ich es total, dass ich nicht zu DDR-Zeiten…
Smudo: (lachend) … dass du es nicht genossen hast?
Michi Beck: Nein, dass ich damals nicht schon in Berlin war. Ich lebe jetzt seit 18 Jahren in Berlin und habe es gar nicht getrennt miterlebt. Das finde ich echt schade, weil der Unterschied ja schon krass ist. Ich war damals echt so ein bornierter Kiff-Wessi-Teenie, der sich eher für die neue Hip-Hop-Musik aus den USA interessiert hat. Ich hab eher in die andere Richtung geguckt. Und auf einmal war Deutschland viel größer, ohne dass ich es großartig mitbekommen habe. Natürlich sieht man das dann im Fernsehen, aber ich hab das nicht so zusammengebracht, dass wir jetzt wieder ein vereintes Land sind. Das kam erst später wirklich bei mir an.
Smudo: Jetzt hast du aber auch ganz schön lange gebraucht, um zu sagen, dass du von damals eigentlich nichts weißt.
Seid ihr anfangs mit irgendwelchen Vorurteilen in den Osten gefahren?
Smudo: Ne, also wir hatten eigentlich keine direkten Vorurteile. Durch meine Erfahrungen bei den Schulausflügen hatte ich auch schon den Eindruck, dass die Kultur in der DDR im Grunde die Gleiche war wie in der Bundesrepublik. Da sprachen alle die gleiche Sprache, bezahlt wurde in Mark, mittags gab es Sauerkraut und Klöße und später Kaffee und Kuchen. Diese ganzen Unterschiede zwischen West und Ost, die später so aufgemacht wurden, haben für uns zu dem Zeitpunkt keine Rolle gespielt.
Denkt ihr heute noch in Ost und West? Also typisch Osten, typisch Westen?
Michi Beck: Ja, viel.
Smudo: Ja, schon viel.
Michi Beck: Es gibt natürlich super viele Vorurteile. In Berlin bekomm’ ich das ja selber mit. Ein Klischee ist, dass die Wessis Ost-Berlin gentrifizieren und die Alteingesessenen mit ihrer West-Kohle aus den Traditionsbezirken verdrängen. Und andersherum ist oft so die Denke, dass die Wessis sich als was Besseres fühlen: “Die Ossis sind ja schließlich noch gar nicht so lange richtige Deutsche.“ Das sind alles so Sachen, die erstaunlicherweise wirklich lange brauchen, um aus den Köpfen zu verschwinden.
Müsste das bei der Generation, die die DDR gar nicht mehr miterlebt hat, nicht eigentlich schon verschwunden sein?
Michi Beck: Das stimmt. Vielleicht empfinden wir das auch nur so, weil wir diese Zeit noch miterlebt haben.
Smudo: Ich glaube auch, dass es sehr stark am Alter hängt, wie stark die Vorurteile ausgeprägt sind. Trotzdem finde ich, dass viele Vorurteile stimmen oder zumindest auf der Wahrheit fußen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass das Bemühen, West und Ost miteinander zu vermählen, von beiden Seiten aus groß ist.
Die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland werden also geringer?
Smudo: Auf der kulturellen Ebene zumindest. Allerdings kann ich mir auch gut vorstellen, dass es sich aus Ost-Sicht doof anfühlt, wenn die ganze West-Kultur so über einen kommt – also die ganzen Feiertage oder so etwas. Dass deshalb dann eine Entwurzelung stattfindet, ist für mich ein sehr nachvollziehbares Gefühl. Auch was die Bezahlung, die Arbeitsplätze und die infrastrukturellen Unterschieden betrifft, ist schon noch ein weiter Weg zu gehen.
Michi Beck: Ja, aber nur teilweise. Und das ist das Ding. Ich glaube, im ostdeutschen Raum fühlen sich viele abgehängt – und solche Fälle mag es regional bestimmt auch geben. Wenn man dann aber mal ins Ruhrgebiet oder in andere Teile von Westdeutschland reinschaut, ist es mindestens genauso beschissen wie in Teilen von Ostdeutschland.
Smudo: Also ich glaube der Punkt ist, dass es einen Unterschied gibt zwischen denen, die wirklich abgehängt sind, und denen, die denken, sie wären abgehängt, es aber eigentlich gar nicht sind. Und bei der Angst vor dem Abgehängt-Sein greift dann der Populismus.
Das müssen wir jetzt alle miteinander anpacken.
Smudo
Gemeint sind damit sicherlich die Wahlerfolge der AfD.
Smudo: Genau. Ich glaube, das größte Problem, warum in Ostdeutschland viel AfD gewählt wird, hängt mit der schwachen Infrastruktur zusammen. Wenn man da mal rausfährt in die ganzen Käffer, da wo die Gegenden wirklich ausbluten, da hast du als Jugendlicher ja einfach nichts außer vielleicht einem grünen Baum. Da kannst du dir dann billig tschechisches Crystal Meth besorgen und musst ja allein schon aus Protestgründen gegen alles und jeden sein. Das ist ein Riesenproblem, das übersehen wurde. Das müssen wir jetzt alle miteinander anpacken, damit wir das alle möglichst schnell mit möglichst wenig Schaden hinter uns gebracht bekommen.
Michi Beck: Ich glaube, dass viele Menschen in Ostdeutschland den “Osten“ aber auch als willkommene Ausrede benutzen, so als Anti-Hybris. Wenn es ihnen schlecht geht, liegt das daran, weil sie ja halt hier im Osten sind. Das wird dann gerne mal vorgeschoben.
Smudo: So eine Art Opferhaltung.
Michi Beck: Ja genau. Ich habe den Eindruck, die wird im Osten öfter gebraucht als in strukturschwachen West-Regionen. ‚Was soll ich machen? Ich bin in Duisburg aufgewachsen. Aus mir kann ja nichts werden.‘ Das hört man eher selten.
Existiert noch eine Mauer in den Köpfen der Leute, oder sind wir mittlerweile ein Land?
Smudo: Also ich glaube, dass die Mauer in vielen Köpfen noch steht und nur zu Teilen eingerissen ist. Das kommt auch ganz darauf an, wo man zu Hause ist. Mein Gefühl ist, dass die Unterschiede zwischen Ost und West im Denken, im Leben und in den Ansprüchen, die an einen Staat oder an eine Gemeinschaft gestellt werden, zum Teil noch sehr groß sind.
Gibt es denn heutzutage noch Unterschiede zwischen Konzerten im Westen oder Osten Deutschlands?
Michi Beck: Eine Zeit lang haben wir immer gesagt, dass die Leute im Osten mehr abgehen. Aber inzwischen ist das ausgeglichen.
Wünscht ihr euch irgendetwas aus der Wendezeit zurück?
Smudo: (lacht) Mehr Haare. Bisschen weniger Bauch. Solche Sachen. So ganz persönliches Zeug.
Michi Beck: (lacht) Weniger Falten.