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Spionage: Die Schatten der Vergangenheit

  • 9. November 2019
  • Jana Reimann-Grohs
1963: Der 18-jährige Rainer Brauns möchte nach dem Abitur unbedingt Arzt werden. Foto: Privates Fotoarchiv Rainer Brauns

Der Verrat, das Schweigen, die Hintergründe – erst nach über 50 Jahren kommt das geheime Doppelleben der Familie Brauns zur Sprache.

An jenen Tag, als sich sein Leben „mit einem Schlag änderte“, kann sich Rainer Brauns noch sehr genau erinnern: Es ist Freitag, der 26. Februar 1965. Vor dem Elternhaus in Berlin-Blankenburg stehen drei fremde Autos. Als der ausgelernte Maschinenbauschlosser mit dem Gesellenbrief in der Hand nach Hause kommt, nieselt es. Die Haustür ist verschlossen. Er klopft. Ein Fremder im dunkelblauen Anzug öffnet ihm. „Herr Brauns, ich muss Sie darüber informieren: Ihre Eltern sind inhaftiert worden wegen Agententätigkeit. Richten Sie sich bitte darauf ein, dass Sie sie eine lange Zeit nicht wiedersehen können und werden. Rückfragen haben jetzt keinen Sinn.“ Während der oberste Vernehmer am Schreibtisch seines Vaters sitzt, wird der 20-Jährige immer wieder von Mitarbeitern der Staatssicherheit (Stasi) befragt. Danach darf er auf sein Zimmer zurück, das Haus aber nicht verlassen oder Kontakt zur Familie aufnehmen.

Einiges sei inzwischen verblasst, sagt Rainer Brauns. Der heute 74-Jährige sitzt am Tisch seines Arbeitszimmers in Berlin-Wilhelmsruh und geht innerlich mehrere Jahrzehnte zurück. Das geheime Doppelleben seiner Eltern aufzuarbeiten, fällt ihm schwer – er ist immer noch auf der Suche nach Antworten. In seiner ungewöhnlichen Familiengeschichte werden die Eltern vom DDR-Staat als feindliche Spione enttarnt. Margarete Brauns wird zuhause in Ost-Berlin festgenommen, ihren Mann Erich fängt die Stasi auf dem Weg zur Arbeit ab. Das Ehepaar hatte im Auftrag des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) spioniert.

Düstere Vorahnungen

Rainer Brauns wusste bis dahin nicht, dass es in seiner Familie BND-Spitzel gab. Manches habe er aber schon als Kind geahnt, weil er sich „über die Dinge im Alltag wunderte“, sagt er. Auch darüber, wie Pakete zu ihnen kamen, sie besaßen den ersten Fernseher in der Straße, ein Auto, der Vater bekam eine teure Uhr. „Ich habe mich dann gefragt: Wie wird das eigentlich finanziert?“

Der Junge wagte nicht, nachzuhaken. Sein Vater war eine Autoritätsperson und zog sich oft zum Arbeiten an den Schreibtisch zurück. Warum er sich auf die Spitzeleien einließ, bleibt für Rainer Brauns bis heute ein Rätsel:

Auf dem Foto von 1950 ist Rainer Brauns Vater, Erich Brauns, zu sehen.
BND-Spion Erich Brauns in den 1950er Jahren. Foto: Privates Fotoarchiv Rainer Brauns

„Es passt nicht zu ihm, so wie ich ihn kennengelernt habe. Er war immer fleißig, arbeitsam, gründlich, gewissenhaft.“ Habe der Ingenieur mal nicht am Schreibtisch gesessen, sei er mit Gartenarbeit beschäftigt gewesen. Spionage war eher etwas für seine staatsfeindliche Mutter – „eine sehr intelligente Frau“, resümiert Brauns, mit der sich schwer über Politik diskutieren ließ. „Sie war keine Freundin der DDR. So bin ich auch erzogen worden. Als ich bei den Pionieren eintreten wollte, sagte sie nur: Was willst du in dem Verein?“

Rainer Brauns wuchs mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Rolf auf. Die Großmutter wohnte mit im Elternhaus. Heute lebt Brauns im Nachbarbezirk. Mit seiner Frau Regina hat er selbst zwei erwachsene Söhne und mehrere Enkelkinder. Von außen betrachtet ein normales Familienleben seit Generationen. Wenn da nicht die Spionage-Vergangenheit seiner Verwandten wäre.

Mein Vater hat der DDR einen Schaden in Millionenhöhe angerichtet.

Dr. Rainer Brauns

Durch die Buch-Recherchen seines Sohnes Dirk, der die Familiengeschichte als Vorlage für den 2019 erschienenen Spionage-Roman „Die Unscheinbaren“ nutzte, kommen die Doppelleben ans Tageslicht. Die Verwandtschaft aus West-Berlin soll für die Anwerbung der Brauns verantwortlich gewesen sein. Schwager Alfred war dort als V-Mann für den BND tätig und fragte den Vater regelmäßig über geplante Projekte bei seinem Arbeitgeber VEB INEX Industrieanlagen-Export aus.

Auf dem Foto von 1955 lehnt sich Margarete Brauns auf beide Unterarme gestützt aus dem Fenster ihres Wohnhauses.
Margarete Brauns 1955 am Fenster ihres Eigenheims. Foto: Privates Fotoarchiv Rainer Brauns

Ab 1956 lieferte Erich Brauns gegen Geld Informationen. „Mein Vater hat der DDR einen Schaden in Millionenhöhe angerichtet“, betont Rainer Brauns. Nötig gehabt hätte der Abteilungsleiter das Spionieren wohl nicht. Er sei kein Genosse gewesen, verdiente „ganz DDR-untypisch gutes Geld“.

Margarete Brauns muss ihren Mann zur Spionage „überredet“ haben, ist sich Rainer Brauns sicher. Damals war er elf, sein Bruder neun Jahre alt. Das Ehepaar riskierte, ihre Kinder zu verlieren – solche Geschäfte hätten sie ausschlagen müssen, wirft Brauns seinen verstorbenen Eltern vor. „Mein Bruder und ich wären damals bei einer Verurteilung ins Waisenhaus gekommen.“

Das ist eine handschriftliche Notiz, die Erich Brauns gemacht und unterschrieben hat.
Handschriftliche Notiz mit Unterschrift, die Erich Brauns zur Umstellung seines Nachrichtenverkehrs auf Geheimschrift gemacht hat. Foto: Privates Fotoarchiv Rainer Brauns

Geheimtinte und Pakete

Bis die Berliner Mauer am 13. August 1961 hochgezogen wurde, gingen Margarete und Erich Brauns öfter abends in West-Berlin aus und trafen sich dort mit Verwandten. Zum „netten“ Onkel Alfred und zur Patentante Ilse bestand immer guter familiärer Kontakt. Danach hatte er sie aber nie wieder gesehen, erzählt Brauns: „Für meine Eltern muss das dann ganz schrecklich gewesen sein. Vorher haben sie viele Informationen durch direkten Kontakt vermitteln können. Das war nun alles nicht mehr möglich.“ Doch die Spionage ging mit Geheimtinte und Paketen weiter. Margaretes Mutter sprang als unwissende Kurierin präparierter Briefe ein, wenn sie in den Osten reisen durfte.

So schockierend das geheime Doppelleben seiner Eltern war – nach ihrer Verhaftung war der junge Rainer Brauns vor allem mit dem Einzug ihres Vermögens und offenen Rechnungen überfordert. Nur Haus und Grundstück gehörten laut Grundbuch der 82-jährigen Großmutter. Eine Schenkung an die Enkelsöhne rettete das Erbe. Der mühevoll abbezahlte Familienbesitz konnte nach dem Tod der Großmutter verkauft werden.

Vor kurzem ist Rainer Brauns seinem Sohn Dirk zuliebe zum Elternhaus zurückgekehrt. Aber nur, um es von weitem anzusehen. Er will die neuen Besitzer*innen nicht in die heikle Familiengeschichte hineinziehen. Dafür begleitet er seinen ältesten Sohn auf Lesungen oder stellt sich als Zeitzeuge zur Verfügung. Kein leichter Akt, die erneute Auseinandersetzung fordert den 74-Jährigen.

Ein dunkles Auto steht an der Straße vor einem Haus. Es liegen Blätter von Bäumen auf dem Boden. Es muss Herbst sein.
Das Familienauto vor dem Elternhaus in Berlin-Blankenburg. Foto: Privates Fotoarchiv Rainer Brauns

Getrennte Wege

Damals gelang dem sportbegeisterten jungen Mann parallel zur Verurteilung seiner Eltern die Abgrenzung – 15 Jahre Haft hatte Erich, acht Jahre Margarete Brauns bekommen. Im Gegensatz zu Bruder Rolf, der Ende der 60er Jahre offiziell nach Westdeutschland ausreiste, blieb Rainer Brauns aus politischer Überzeugung in Ost-Berlin und schlug das Angebot auf Familienzusammenführung aus. Er entschied, seiner späteren Frau Regina und der pflegebedürftigen Großmutter zur Seite zu stehen.

Sein Traum vom Medizinstudium war allein wegen der Agententätigkeit seiner Eltern geplatzt. Er wäre angenommen worden, erzählt Brauns, den Platz fürs Praktische Jahr im Krankenhaus hatte er schon. Nach seinem Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee orientierte sich der 22-Jährige mit einem Finanz-Studium ins Bankenwesen um. Er machte Karriere, erst in der Deutschen Notenbank und späteren Staatsbank der DDR, dann in der Deutschen Außenhandelsbank AG. Aus Unterforderung promovierte Brauns in Wirtschaft. Er hätte im Westen Sportarzt werden können, sagt der Rentner rückblickend – so habe er im Osten „das Beste daraus gemacht“.

Vergebliche Bemühungen

Bleibt nur die quälende Frage, warum die Eltern spionierten. „Manche Dinge hätte ich früher ansprechen sollen“, resümiert der 74-jährige. Aber schon zu Lebzeiten war den beiden nicht auf die Spur zu kommen. Einige Male habe er seinen Vater noch im Gefängnis besucht, bevor dieser nach vier Jahren in einer Gruppe von 21 politischen DDR-Häftlingen gegen den 1961 enttarnten Doppelagenten Heinz Felfe getauscht und in die BRD überführt wurde, berichtet Brauns. Die Mutter wurde nach zwei Jahren freigekauft und konnte in West-Berlin ein neues Leben beginnen.

Bei späteren Besuchen seiner Eltern in Ost-Berlin versuchte der junge Mann schon, das Schweigen zu brechen. Er scheiterte. „Das wurde sofort abgeblockt – mein Vater hätte sofort seinen Hut genommen und wäre gegangen.“ Auch nach dem Tod Erich Brauns 1982 gab es „keine Chance“ auf eine Aussprache, bedauert er. „Ich hätte gerne mit meiner Mutter über ihre Beweggründe gesprochen. Obwohl mir klar war, warum sie das gemacht hat: wegen ihrer Haltung und für das Materielle. Aber sie hat abgewimmelt oder gesagt, es spiele keine Rolle.“

Auf einem Tisch liegen alte Papierstapel: Akten.
BND Akten der Familie Brauns, aus dem Archiv in Pullach bei München. Foto: Privates Fotoarchiv Rainer Brauns

Angst vor neuen Skandalen

Als der Rentner gemeinsam mit seinem Sohn Dirk 2017 in den Archiven von BND und Stasi nach Familienmitgliedern sucht, taucht auch Rainer Brauns Name auf. Im Archiv der Stasi-Unterlagen-Behörde existiert eine umfangreiche Dokumentation seiner Überwachung, wie Rainer Brauns erfuhr: „Ich war umgeben von Leuten, die sehr viel über mich sagen konnten und das auch gemacht haben“.
Doch konkreter will er es lieber nicht wissen. Der Berliner hatte seine Stasi-Akte selbst angefordert und den Termin kurzfristig wieder abgesagt. Zu groß war die Gefahr, ein weiteres Mal enttäuscht zu werden. „Mir hat das schon mit meinem Vater gereicht – die 1000 Seiten, die ich da gesehen habe. Sie können da genau sehen, wer das war. Namen werden zwar geschwärzt, aber aus dem Zusammenhang heraus ergibt sich ja, wer das war.“

Der Kopf eines ältereren Mannes mit Sonnenbrille ist zu sehen. Er stützt sein Kinn nachdenklich auf seine ineinander verschränkten Hände und schaut seitlich aus dem Bild.
Rainer Brauns 2019. Foto: Privates Fotoarchiv Rainer Brauns

Ich könnte sehr erschreckt sein über Namen.

Rainer Brauns

Er werde keinen neuen Antrag auf Akteneinsicht stellen, sagt Rainer Brauns nachdrücklich: „Ich möchte nicht sehen, was andere über mich gesagt oder geschrieben haben, wo ich eine bestimmte Ahnung hatte. Ich könnte sehr erschreckt sein über Namen, die ich da entdecke.“

Während ein großer Teil seiner Vergangenheit weiter in den Akten ruht, ist aber die Spionage-Geschichte der Familie Brauns noch lange nicht zu Ende geschrieben.

Was niemand ahnte: Bruder Rolf führte das Vermächtnis seiner Eltern fort und geriet zwischen die Fronten ost- und westdeutscher Geheimdienste. Der promovierte Tierarzt soll für beide Seiten tätig gewesen sein. Doch vieles bleibt nach wie vor aufgrund nicht zugänglicher BND-Akten im Dunkeln. Rolfs mysteriöser Tod 1998 – angeblich Selbstmord – ist bis heute nicht ganz aufgeklärt.

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Jana Reimann-Grohs
Jana Reimann-Grohs

Typisches Wendekind: 1976 in Ost-Berlin geboren und aufgewachsen im vereinigten Deutschland. Seit Oktober 2017 absolviert sie bei der Märkischen Oderzeitung ein multimediales Redaktionsvolontariat. Als Brandenburger Lokalreporterin macht sie ständig neue Grenzerfahrungen mit eingeschränktem Internet.

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