Helmut Fritsche kaufte eine ehemalige DDR-Brauerei. Er führte sie zum Erfolg – und nahm dafür sogar ein Bad im Bier.
Glas klappert im Takt, es riecht schal. Die Pfandflasche muss einiges mitgemacht haben, so ramponiert wie sie aussieht. Zusammen mit hunderten Glasflaschen rollt sie über Fließbänder in Neuzelle, einem kleinen Dorf an der deutsch-polnischen Grenze. Wo sich einst ein Kloster befand, produziert heute eine der erfolgreichsten Privatbrauereien Brandenburgs: die Klosterbrauerei Neuzelle. Gereinigt und mit neuem Etikett beklebt, wird die Flasche von der mittelständischen Brauerei mit schwarzem Gerstensaft befüllt. Schwarz, das ist Tradition in Neuzelle.
Geschäftsführer Helmut Fritsche – weißes Hemd, tiefe Falten auf der Stirn – beobachtet den Vorgang mit Freude in den Augen. Dann wird er ernst. Von dem, was er in der Brauerei vorfand, ist fast nichts mehr da. “Es ist nur die Hülle stehen geblieben – alles was man hier sieht, ist neu.”
Die Ex-DDR-Brauerei ist heute ein modernes Brauunternehmen mit langer Tradition. Die Zapfanlage ist neu, die Schrotmühle aus dem Jahr 1906, Sorten wie Ingwer-, oder Kirschbier wiederum modern. Daran, dass hier seit genau 700 Jahren gebraut wird, erinnern Bilder von Mönchen und der alte Holzboden.
Vom Braugeschäft verstand Fritsche damals nicht viel, als der Westunternehmer sich 1993 entschied, den ehemaligen DDR-Betrieb zu kaufen. Der Unternehmer kam nicht aus der Brauerei, er sah das Kloster, er sah den Schwarzen Abt – und er sah Potential. Das war für ihn entscheidend, wie er erzählt. Im Alter von 57 Jahren wurde er zum stolzen Besitzer einer Brauerei.
Während die großen DDR-Marken wie Radeberger, Köstritzer, Hasseröder oder Wernesgrüner nach der Wende oder später von West-Konzernen übernommen wurden, blieb der kleine Betrieb in Neuzelle in Familienbesitz. Angebote gab es, doch ein Verkauf kam für Fritsche nie in Frage. “Ich hatte meinen eigenen Plan”, sagt er.
Ihre 40.000 Hektoliter jährlich produziert die Privatbrauerei mit einer über 43 Mann starken Truppe. Es sind keine Millionen Hektoliter wie bei Bitburger oder Radeberger. Hier setzt man auf Tradition und Handwerk. “Wer unser Bier zum ersten Mal probiert, ist erst verwundert, weil es anders schmeckt”, sagt Braumeister Peik Schauermann. Das sei Absicht. “Wir brauen noch handwerklich”, betont der 48-Jährige. Die Neuzeller Klosterbrauerei beliefert Getränkehändler deutschlandweit, auch in Ländern wie Russland, Singapur, China und Japan ist das Bier beliebt.
Beginn des Bierkriegs
Dass die Neuzeller Brauerei bis heute unabhängig ist, hat einen Grund. Und der heißt: Fritsche. Der heute 81-Jährige ließ sich nie beirren oder einschüchtern – und legte sich dabei auch mit dem Land Brandenburg an.
Im Jahr der Übernahme gab es nicht viel, auf das Fritsche stolz sein konnte. Der ehemalige VEB-Betrieb war runtergewirtschaftet, die Produktionsanlagen veraltet. “Der Braumeister hat nur mit dem Kopf geschüttelt und gefragt: Wissen Sie eigentlich, was auf sie zukommt?”, erinnert sich Helmut Fritsche. “Der hat ja jeden Tag gebetet, dass die Brauerei weiter produzieren konnte”, sagt er. Davon ließ er sich nicht beeindrucken.
Dabei begann bereits in dem Jahr, in dem er die Brauerei kaufte, der sogenannte Bierkrieg. Jahrelang stritt er mit dem Land Brandenburg dafür, dass das mit Zucker versetzte Schwarzbier “Schwarzer Abt” die Bezeichnung Bier tragen darf. Der Streit führte ihn bis vor das Bundesverwaltungsgericht – und er bekam recht. 2005 weichte das Leipziger Gericht das Reinheitsgebot für den kleinen Brandenburger Betrieb auf. Zuvor war Fritsche mit zwei Klagen gescheitert. Fritsche weiß sein Bier zu verteidigen, das steht 30 Jahre nach der Wende fest.
“Statt Innovationen zu fördern, machen es Brandenburger Ministerien heimischen Unternehmen schwer”, kritisiert Stefan Fritsche, der den Betrieb zusammen mit seinem Vater leitet. Die westdeutschen Lobbyisten in der Branche wollten die kleine Brauerei kleinkriegen. “Das ist ihnen nicht gelungen”, sagt Helmut Fritsche nicht ohne Stolz.
Dass der heute 81-Jährige sich durchbeißen kann, zeigt seine Biographie.
In Woxelde (heute das polnische Gluchowo) bei Landsberg (Gorzow) geboren, musste er 1945 fliehen. In der DDR durfte er nicht studieren. Nur mit einer Tasche ging er nach West-Berlin, holte dort das Abitur nach. Er mauserte sich vom Straßenfeger zum Manager, arbeitete 24 Jahre bei der AEG. Und studierte. Der Westberliner Betriebswirt (FU) war mehr West- als Ostunternehmer, als er 1991 nach Ostbrandenburg kam und kurz darauf den runtergewirtschafteten DDR-Betrieb von der Treuhand übernahm.
Fritsche ist nicht nur hartnäckig, er weiß sein Bier auch gut zu vermarkten. Als er vor 16 Jahren beim Schwarzbierstreit für einen TV-Gag in eine mit Gerstensaft gefüllte Badewanne stieg, hat ihm das so gut getan, dass er es nicht verheimlichen konnte. Der Auftritt im ZDF machte ihn überregional bekannt.
Sein “Badebier” sollte nicht der einzige Marketing-Coup sein. Fritsche ließ sein Bier vom Papst persönlich segnen, er ließ auch mal Bier von den im Jahr 2018 zurückgekehrten Mönchen brauen. “Als Unternehmer steht man jeden Tag vor neuen Herausforderungen”, sagt Fritsche. “Wer klein beigibt, wird vom Markt gefegt.” Er gestikuliert wild, redet über Digitalisierung, Auslandsexporte und Umweltschutz. “Mein Ziel ist es, diese Brauerei zu erhalten – sie muss eine Einheit sein.” Die Art, wie er es sagt, lässt keine Zweifel daran aufkommen. Der Mann ist eine Marke. Er ist eine Einheit mit seinem Bier. Ans Aufhören denkt er noch nicht, doch ein Nachfolger steht schon bereit. Sohn Stefan Fritsche, 53, ist bereits Co-Geschäftsführer.
Der Schwarze Abt ist die erfolgreichste Marke des Unternehmens. Die Klosterbrauerei experimentiert auch mit neuen Sorten. “Ich arbeite gerade an einem leichten Bier”, verrät Braumeister Peik Schauermann. Ein neues Bier pro Jahr kreiert der 48-Jährige. Sein Handwerk hat der Diplom-Brauereitechnologe im Odenwald bei der Bindinger-Brauerei gelernt. “In meiner alten Brauerei haben wir nur Pils gebraut, hier gibt es mehr Abwechslung”, sagt Schauermann. Über einen Job in der Forschung lernte er Stefan Fritsche kennen, der ihn an die deutsch-polnische Grenze lockte.
Ausruhen auf dem Erfolg, das ist für einen Brandenburger Betrieb nicht denkbar. Die Privatbrauereien haben es derzeit nicht leicht. In Ostbrandenburg ist es umso schwerer, das wissen die Fritsches. “Es ist nicht leicht, gute Leute nach Ostbrandenburg zu locken”, sagt Helmut Fritsche. Aber auch das gelang den Unternehmern. Die Mitarbeiter kommen aus Brandenburg, Sachsen und Bayern. Wird in der Klosterbrauerei eine Lehrstelle zum Brauer oder Mälzer frei, trudeln Bewerbungen aus ganz Deutschland ein. Das liegt nicht zuletzt an der Marke Fritsche.