Alexander Ahrens ist SPD-Politiker und Oberbürgermeister der AfD-Hochburg Bautzen. Ein Gespräch über entwürdigte Menschen, den richtigen Umgang mit der AfD – und warum er deren Potenzial bei 40 Prozent sieht.
Die ostsächsische Stadt Bautzen erlangte im September 2016 traurige Berühmtheit. 80 Rechtsradikale jagten 20 Asylbewerber durch die Stadt. Am Abend nach der Hetzjagd versammelten sich wütende Bürger*innen auf dem Kornmarkt. SPD-Oberbürgermeister Alexander Ahrens stellte sich ihnen, hörte zu – und zeigte Haltung.
Der 53-Jährige ist im West- Berliner Stadtteil Spandau aufgewachsen. Er hat Sinologie (Chinawissenschaften) und Jura studiert, später als Jurist in Hongkong, Shanghai und Berlin gearbeitet. 2008 zog er mit seiner Familie nach Bautzen, seit 2015 ist er Oberbürgermeister. Bei der Landtagswahl 2019 war die AfD in drei der fünf Wahlkreise in Bautzen (39.000 Einwohner*innen) stärkste Kraft. Im September trafen wir ihn zu einem Gespräch.
Herr Ahrens, allein in Sachsen wurden vergangenes Jahr 116 Straftaten gegen Kommunalpolitiker*innen verübt, 2017 waren es sogar 181. Sie haben sich 2016, nach den rechten Gewaltexzessen in ihrer Stadt, aufgebrachten Bürger*innen noch am Abend gestellt. Sie sind Familienvater und Ehemann. Hatten Sie keine Angst?
Alexander Ahrens: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Man muss sich die Gefährdung bewusst machen. Ich war bei dem Auftritt innerlich darauf eingestellt, dass es passieren kann, dass ich tätlich angegriffen werde. Seit meiner frühesten Jugend im Plattenbau in Berlin-Spandau kenne ich Gewalterfahrungen im öffentlichen Raum. Wenn man da aufwächst, bringt man eine gewisse Körpersprache mit, die signalisiert: Ich bin definitiv kein Opfer. Es gab bei dem Auftritt ein Restrisiko, aber davon darf man sich nicht irremachen lassen. Dann wäre man tatsächlich für so ein Amt nicht geeignet. Man muss darauf vertrauen, dass die Menschen es wertschätzen, dass man sich stellt.
Wie lief der Auftritt konkret ab?
Ich habe mich beschimpfen lassen, bin ruhig geblieben und habe immer wieder gesagt: Ich bin hier, weil ich dachte, dass ihr reden wollt. So nach 20 Minuten hat das dann auch funktioniert. Ich finde es wichtig, dass man ein Signal gibt, dass man sich nicht einschüchtern lässt. Die Bautzener Polizei sagte mir nach dem Auftritt: Wir hätten uns da nicht alleine hingetraut.
Sie haben als Firmenjurist in Shanghai und Hongkong gearbeitet, später als selbstständiger Jurist in Berlin, dabei sicher auch gut verdient. Warum haben Sie sich entschieden, in die schweren Mühlen der Kommunalpolitik zu gehen?
Mir ging es wirtschaftlich so gut, dass ich mich mit 47 zur Ruhe setzen konnte und dann „nur“ noch Familienvater war. Bei einer sechsköpfigen Familie war das ein 24/7-Job. Es war auch toll für eine gewisse Zeit, aber schon nach einem Jahr habe ich gemerkt, dass ich zwischen den Ohren komplett einroste. Also habe ich eine neue Herausforderung gesucht und diese auch gefunden.
Die Region Bautzen ist voller Geschichte, es gibt eine Menge zu sehen.
Eine solche Herausforderung: Der Umgang mit Vorurteilen. Wie bekämpft man sie am besten?
Am besten dadurch, in dem man sie nicht unkommentiert stehen lässt. Ich kann damit nur Erfolg haben, wenn ich nicht mit dem moralischen Zeigefinger unterwegs bin, sonst macht die Person innerlich dicht. Dann kann ich mich auf den Kopf stellen und kann tausend gute Argumente bringen. Um Vorurteile zu bekämpfen, braucht man eine Mischung aus Zivilcourage und Einfühlungsvermögen. Das macht die Aufgabe so schwer.
Die Erfolge der AfD in Bautzen
Landtagswahl 2019 (in Prozent)
Wahlkreis Bautzen I:
AfD 36,8 – CDU 34,6
Wahlkreis Bautzen II:
CDU 35,8 – AfD 31
Wahlkreis Bautzen III:
CDU 32,3 – AfD 31,5
Wahlkreis Bautzen IV:
AfD 33,9 – CDU 33,5
Wahlkreis Bautzen V:
AfD 36,4 – CDU 33
Bundestagswahl 2017 (in Prozent)
Zweitstimmen:
AfD 32,8 – CDU 27,1
Direktmandat mit 33,2 für die AfD
Bautzen hat eine sehr schöne Altstadt. Doch ins Gedächtnis vieler Menschen haben sich vor allem die rechtsextremen Gewaltexzesse im Jahr 2016 gebrannt. Wie wollen Sie die Menschen überzeugen, Bautzen überhaupt eine Chance zu geben?
Wenn wir die Leute hier haben, ist es relativ einfach. Bisher hatten wir Tourismus nur in der Form, dass Menschen gekommen sind, obwohl sie den Ruf der Stadt kannten. Wir wollen mehr Tourismus-Werbung machen. Bautzen ist eine sehr schöne Stadt ist, in einer wunderschönen Landschaft gelegen. Die Region ist voller Geschichte, es gibt eine Menge zu erzählen und zu sehen.
Hat Bautzen ein Problem mit Rechtsextremen?
Im Osten Deutschlands konnte man bis 1989 schlecht über das Thema Rechtsextremismus diskutieren, das gab es offiziell nicht. Jeder, der das Gegenteil behauptet hat, hat eine große Chance gehabt, Bautzen mal von einer ganz anderen Seite kennenzulernen [gemeint ist das zu DDR-Zeiten berüchtigte Gefängnis Bautzen, Anm. d. Red.]. Und dann hatten wir unglücklicherweise in Sachsen lange Jahre Ministerpräsidenten, die fast schon in DDR-Tradition behauptet haben: Rechtsextremismus gibt es bei uns nicht. Was das Problem nur wachsen lässt.
Und wie löst man es?
Wir haben kein unlösbares Problem mit Rechtsextremismus. Glücklicherweise haben wir mittlerweile einen Ministerpräsidenten, der das ganz klar anspricht und der auch im Landtag sagt: Es ist an der Zeit, dass wir rechtsextreme Strukturen zerschlagen. Das ist die Art von Ansage, die wir vor 30 Jahren schon gebraucht hätten. Eines steht für mich fest: In Sachsen leben nicht schlechtere Menschen als in anderen Bundesländern. Das ist schon rein statistisch auszuschließen. Und wenn Bautzen eine braune Hochburg wäre, würde ich hier nicht leben – und dann wäre ich auch nicht Bürgermeister. Ich habe während des Wahlkampfs 2015 fünfmal am Tag betont, dass es mit mir keine Politik gegen Flüchtlinge geben wird.
Ungefähr zehn Prozent der Menschen in der Bundesrepublik sind Antidemokraten, die gerne einen Führer hätten und früher NPD gewählt haben. Aber die große Mehrheit der AfD-Wähler fällt nicht in diese Kategorie.
Es gibt aber die Wahlerfolge der AfD, die in Sachsen zweitstärkste Kraft wurde . . .
Das hat viel mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen zu tun. Und mit einer langen Reihe von Frustrationserfahrungen in der Nach-Wendezeit. Mit Undankbarkeit für die finanzielle Unterstützung, wie das im Westen manchmal interpretiert wird, allerdings nicht. Viele Menschen haben ihre Identität und Bezugspunkte verloren. Dazu gehören auch Menschen, die wirtschaftlich gesehen „Wende-Gewinner“ sind. Ich betrachte den Großteil der AfD-Wähler als Leute, die ich zurückgewinnen will.
Mit was für Rezepten wollen Sie das schaffen?
Mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und zu fragen, warum sie AfD gewählt haben, ist der erste Schritt. Es geht nicht darum, die Leute zu verurteilen. Das ist idiotisch. Die Menschen wissen in der Regel genau, warum sie wen wählen. Ungefähr zehn Prozent der Menschen in der Bundesrepublik sind Antidemokraten, die gerne einen Führer hätten und früher NPD gewählt haben. Aber die große Mehrheit der AfD-Wähler fällt nicht in diese Kategorie. Und die kann ich nur zurückgewinnen, wenn ich sie ernst nehme.
Woher nehmen Sie diese Zahl?
Im Sachsen-Monitor sind die interessantesten Antworten die zum Thema Demokratie. Die Medien stürzen sich immer darauf, dass 57 Prozent der Sachsen der vorformulierten Aussage „Deutschland ist in einem gefährlichen Maß überfremdet“ zustimmen. Die Frage interessiert mich gar nicht. Das ist eine Suggestivfrage. Bei den Fragen zur Demokratie sagen rund 90 Prozent der Sachsen: Demokratie ist eine ganz tolle Sache. Aber nur rund 50 Prozent sagen, dass sie gut funktioniert. Aus dieser Diskrepanz von mehr als 40 Prozentpunkten kommt das AfD-Potenzial in Ostdeutschland. Aber diese Menschen kann man erreichen. Man kann mit ihnen reden: Leute, habt ihr einen besseren Vorschlag?
Der Flügel der AfD besteht größtenteils aus Nazis.
Der bessere Vorschlag kann aber nicht der sogenannte „Flügel“ mit ihrem Anführer Björn Höcke sein.
Wenn man sich den ganzen Flügel-Salat anschaut, das Zeug ist spätestens seit 1945 abgelaufen und ungenießbar. Die AfD ist sehr geschickt darin, es den Leuten als frische Ware zu verkaufen. Dabei braucht man noch nicht einmal einen besonders empfindlichen Magen, damit einem davon schlecht wird. Der Flügel besteht in meinen Augen größtenteils aus Nazis. Ich beobachte deren Erfolge aber durchaus mit einem gewissen Wohlwollen, weil ich davon ausgehe, dass das der Sargnagel für die Partei sein wird. Ich glaube, dass die AfD ihren Zenit erreicht hat. Deswegen bin ich auch vorsichtig optimistisch, dass ein rein sachlicher Umgang damit helfen wird, den Leuten klarzumachen, was das für ein Verein ist.
Oft fehlt allerdings die gemeinsame Faktenbasis, um in eine fruchtbare Diskussion zu kommen. Wenn ein AfD-Wähler sagt, Merkel wolle eine Umsiedlung nach Deutschland, um die Deutschen auszurotten: Wie können Sie ihn überzeugen, dass das Blödsinn ist?
Wenn jemand mit dieser Argumentation ankommt, weise ich ihn zunächst darauf hin, dass wir hier viele Firmen haben, die deswegen nicht wachsen können, weil sie nicht genug Leute haben. Da kommt dann sofort die Replik: Sind doch alles Ungelernte. Ja, es kommen tatsächlich auch Ungelernte, aber wir haben hier vor Ort Unternehmen, die afghanische Analphabeten in die Ausbildung gebracht haben. Und der Chef erzählt mir: „Ich bilde seit 40 Jahren Leute aus, so engagierte Mitarbeiter habe ich noch nie erlebt. Wenn ich abends in der Werkstatt das Licht ausmachen will, muss ich sie rausziehen, die wollen gar nicht aufhören.” Die wissen, das ist die Chance ihres Lebens. Auch bei den Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen migrieren, sind Leute dabei, die wir brauchen können. Klar können wir nicht die ganze Welt aufnehmen, aber das ist ja eine Binsenweisheit. Wir brauchen in Deutschland dringend ein echtes Einwanderungsgesetz.
Wie sehen Sie die sozialen Medien? Filterblasen sind immer wieder in der Diskussion.
Die sozialen Medien sind für mich mittlerweile eher Fluch als Segen, weil sie Echoräume bilden und wie ein vergrößerter Stammtisch wirken. Jeder kann seine Sicht in den sozialen Medien bestätigt und verstärkt bekommen. Sie haben leider einen sehr starken negativen Effekt. Das macht das persönliche Gespräch nur noch wichtiger.
Ein klassisches Argument für gute Wahlergebnisse der AfD sind soziale und wirtschaftliche Probleme. Das gilt für Bautzen nicht. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund fünf Prozent, die Stadt ist pro Kopf eine der wirtschaftsstärksten in Sachsen. Woran liegt es dann?
Im Bereich der Kurzzeit-Arbeitslosen haben wir Vollbeschäftigung. Wir sind eine schuldenfreie Kommune, haben Rücklagen. Wir bauen gerade eine Kita für 185 Kinder und die wird trotzdem nicht reichen, weil wir seit 15 Jahren eine Geburtenrate haben, die weit über dem Bundesdurchschnitt liegt: 2016 bei 2,2 Kindern, 2017 bei 1,97. Für Familien ist die Stadt unheimlich attraktiv. Wir sind ein Musterbeispiel für den Aufschwung Ost – und trotzdem haben wir viele AfD-Wähler. Ein Beleg, dass die wirtschaftliche Komponente eigentlich keine Rolle spielt. In Ostdeutschland ist die Angst vor der Globalisierung sehr groß.
Wie kann man den Menschen diese Angst nehmen?
In dem man klar macht, dass gerade die großen Gemeinschaftsprojekte uns nach vorne bringen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Europäische Union. Die wird heute, zu Recht, als Friedensprojekt gefeiert. Die EU ist allerdings als Wirtschaftsprojekt gestartet. Die Frage „Was haben wir als Land davon?“ muss immer erlaubt sein. Aber solche Lösungen findet man nur mit verschiedenen Staaten gemeinsam. Das ist ein Argument für die guten Seiten der Globalisierung.
Und die schlechten?
Wir müssen aufpassen, dass wir Globalisierung nicht als vollkommene Liberalisierung von kapitalistischen Marktmechanismen sehen dürfen. Ängste sind immer subjektiv, aber ich muss sie ernst nehmen, selbst wenn ich sie persönlich für unbegründet halte. Denn wenn ich das sage, bringt das niemanden etwas. Der Adressat der Kritik denkt sich dann: Du kannst mir viel erzählen. Ängste kann man nur dadurch überwinden, dass positive Erfahrungen gemacht werden. Das war auch beim Thema Migrationspolitik so.
Hartz IV ist an eine permanente Kette von Entwürdigungserfahrungen gekoppelt.
Denken Sie, dass die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen durch Automatisierung eine Rolle spielt?
Die Angst vor Automatisierung ist konkret und meiner Meinung nach sehr begründet. Wir werden erleben, dass die Arbeitswelt sich in den nächsten Jahrzehnten stärker davon lösen wird, dass wir schwere körperliche Arbeit leisten müssen. Das werden in weiten Teilen Maschinen für uns übernehmen. Digitalisierung und Automatisierung werden dazu führen, dass eine Reihe von Arbeitsmöglichkeiten einfach wegfallen werden. Wir werden Diskussionen in aller Breite und Tiefe führen müssen, die heute schwer vermittelbar erscheinen. Stichwort: bedingungsloses Grundeinkommen.
Kritiker*innen sagen, dass Hartz IV bereits für ein ausreichendes Grundeinkommen sorgt.
Hartz IV ist nicht deswegen so unpopulär, weil die Leute sagen: „Das Geld ist viel zu wenig.“ Sondern weil es an eine permanente Kette von Entwürdigungserfahrungen gekoppelt ist. Diese Erfahrungen entfremden die Leute vom politischen System. Ich habe das als Kind und Jugendlicher am eigenen Leib erlebt. Meine Mutter hat halbtags gearbeitet und musste trotzdem zum Sozialamt gehen. Da mussten wir mitkommen, uns sozusagen präsentieren. Sie wurde durch unangemessene Fragen und Bemerkungen regelmäßig entwürdigt. Ich verstehe auch den bürokratischen Aufwand nicht. Mal ganz platt: Ich kenne keine alleinerziehende Frau, die zu viel Geld hat.
Denken Sie, dass das Gefühl, entwürdigt zu werden, sich als Bürger*in zweiter Klasse zu fühlen, am Ende für den Erfolg der AfD verantwortlich ist?
Ja. Viele Ostdeutsche verbinden zum Beispiel mit der Treuhand sehr negative Erinnerungen. Das war eine Katastrophe, wie das hier gelaufen ist. Wenn studierte Forstwissenschaftler aus Tharandt von Banken gesagt bekommen, dass sie keinen Kredit dafür bekommen, ein Waldstück zu kaufen, und ein windiger Unternehmer aus Düsseldorf das Stück dann für ‘n Appel und ‘n Ei kauft, die Bäume herausreißt und den ausgepressten Teil mit Gewinn weiterverkauft – solche Geschichten haben die Menschen in Ostdeutschland zu hunderten und tausenden erfahren. Das sind Ungerechtigkeitserfahrungen, die sich einbrennen. Die Rolle der Treuhand in den Nachwende-Jahren sollte wirklich aufgearbeitet werden.
Die Riesenleistung, die in Ostdeutschland erbracht worden ist, muss viel mehr in den Fokus gerückt werden.
Und von der Treuhand abgesehen?
Ich sage jungen Leuten gerne, dass sie sich mit ihren Eltern und Großeltern unterhalten sollten. Macht euch klar, dass sie Großes geleistet haben. Alleine schon, dass sie ihre Kinder und Enkelkinder so groß gezogen und zu Mitgliedern unserer Arbeitswelt gemacht haben, dass sie nicht mehr wegzudenken sind. Die Riesenleistung, die in Ostdeutschland erbracht worden ist, muss viel mehr in den Fokus gerückt werden. Ohne die würde unser Land bei weitem nicht so gut dastehen. Dafür sind Anerkennung und Dankbarkeit schon die richtigen Kategorien, finde ich.
Die Koalition, die Sie im Stadtrat unterstützt, hat elf Sitze. Sie bräuchten 15 für eine Mehrheit. Die können Sie nur entweder mit Grünen und FDP oder mit Unterstützung der CDU erreichen. Wie entgehen Sie da der Falle, dass die AfD nicht mit einer „Blockparteien des Systems“-Rhetorik erfolgreich sein kann?
Ich hatte noch nie eine eigene Mehrheit im Stadtrat. Auch die Parteien, die mich bei meiner Wahl unterstützt haben, folgen mir nicht immer. Von einer eigenen Mehrheit bin ich weiter entfernt als je zuvor, aber das finde ich nicht schlimm. Wir müssen mit unseren Verwaltungsvorlagen in der Sache überzeugen. Das ist uns in den vergangenen vier Jahren relativ häufig gelungen. Zumal in der Kommunalpolitik ja meistens nicht die emotional großartig aufgeladenen Themen zur Debatte stehen.
Wie haben Sie die AfD bisher auf kommunaler Ebene kennengelernt? Mit einer Blockadehaltung? Oder sogar konstruktiv?
Bis jetzt hatten wir nur die konstituierende Sitzung, da ging es um die Besetzung von Ausschüssen. Da sind teilweise einvernehmliche Lösungen gefunden worden. Nach der Bundestagswahl habe ich dem erfolgreichen AfD-Kandidaten gratuliert und ihm bescheinigt, dass er technisch einen sehr guten Wahlkampf gemacht hat. Er war überall präsent, als Einziger der Kandidaten. Das ist eine demokratisch gewählte Partei. Solange das so ist, haben sie nach der Arithmetik des Stadtrates Anspruch auf gewisse Positionen. Höcke, Poggenburg & Co sitzen hier nicht im Stadtrat. Es wäre vollkommen widersinnig, der AfD mit dem Verweis auf solche Leute diese Positionen zu versperren. Mein Thema ist, mich mit der AfD auf der Sachebene auseinanderzusetzen. Das muss auch auf der Landes- und Bundesebene geschehen.
Soll das heißen, dass wir jetzt Denkmäler für KZ-Kommandanten bauen sollen?
Wie reagieren Sie auf Bürger*innen, die AfD gewählt haben? Bei der Landtagswahl waren es in Bautzen in zwei Wahlkreisen rund 36 Prozent, bei der Bundestagswahl 2017 gab es ähnliche Ergebnisse.
Ich spreche viel mit Leuten, und sie haben keine Scheu, mir zu sagen, dass sie die AfD gewählt haben. Denen komme ich gerne mit dem Beispiel von Björn Höcke. Ja, was meint er denn, wenn er sagt, wir müssen unsere Erinnerungskultur um 180 Grad drehen? Soll das heißen, dass wir jetzt Denkmäler für KZ-Kommandanten bauen sollen? Und da sagen die Leute dann immer: „Ne, das will ich nicht. Und das hat er auch gar nicht gesagt.“ Wo ich dann erwidere: „Natürlich sagt er das nicht explizit, aber er lässt ganz bewusst diesen Interpretationsspielraum zu. Deswegen muss ihnen klar sein: Wenn Sie AfD wählen, unterstützen Sie solche Positionen, ob ihnen das gefällt oder nicht. Ich verurteile Sie nicht dafür, ich möchte nur, dass Sie das wissen.“ Nur so kann man den Leuten klarmachen, warum die anderen Parteien nichts mit der AfD zu tun haben wollen.
Die AfD argumentiert gerne, dass es jetzt an der Zeit wäre, einen Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit zu ziehen.
Aber dann müssen wir auch ehrlich sein und sagen: Wenn wir unter die deutsche Nachkriegsgeschichte einen Schlussstrich ziehen, treten wir in die nächste Vorkriegsgeschichte ein. Das ist nämlich die logische Konsequenz eines solchen Schlussstrichs. Weswegen ich mich dagegen auch energisch verwehre.