Der Franke Werner Rank wechselte nach der Wende in den Osten, um für Stahl Brandenburg, Dynamo Dresden und RW Erfurt Fußball zu spielen. Was er erlebt hat und warum Fans dachten, er sei Ostdeutscher.
„Wenn die gesagt hätten, sie ziehen die Mauer wieder hoch, hätte ich mir überlegt, ob ich nicht dort bleibe!“ Das sagt Werner Rank, der kurz nach der Wiedervereinigung als Fußballer in Berlin, Brandenburg, Dresden und Erfurt gespielt hat. Ursprünglich kommt der 51-Jährige aus dem fränkischen Herrieden bei Ansbach, wo er auch das Kicken lernte. Viele hätten ihn damals für verrückt erklärt, so Rank, als er in die neuen Bundesländer wechselte, denn die meisten Spieler seien den umgekehrten Weg gegangen. „Ich würde es aber auch heute jederzeit wieder genauso machen.“ Zwischen 1992 und 1997 hat er knallharte Trainer, euphorische Fans und einen riesigen Zusammenhalt erlebt.
Vom 1. FC Nürnberg II zu Blau-Weiß 90 Berlin
Schon die Geschichte, wie Rank zu Blau-Weiß 90 Berlin kam, ist kurios. 1991 spielte er als Vertragsamateur in der zweiten Mannschaft des 1. FC Nürnberg. Nach einem Spiel gegen den Ligarivalen Südwest Nürnberg, in dem Rank vier Tore schoss, ging alles ganz schnell: Sofort nach Spielschluss wurde er vom Präsidenten Südwest Nürnbergs, der gleichzeitig Vize-Präsident von Blau-Weiß war, eingeladen. Er unterschrieb und wechselte mit 23 von der Landesliga in die Nordstaffel der zweiten Bundesliga.
Blau-Weiß spielte damals im Berliner Olympiastadion. Weil aber kaum Zuschauer kamen, wurde die Rückrunde im Jahn-Sportpark ausgetragen – dem Stadion des BFC Dynamo Berlin. Das war der Club, bei dem Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit der DDR, Ehrenvorsitzender war – und den man deshalb auch unter dem Namen „Stasi-Club“ kannte.
„Das Stadion war super und ist damals erst modernisiert worden“, erinnert sich Rank. So gab es eine gläserne Ehrenloge, die direkt mit den VIP-Logen verbunden war, und in der sich die Fußballer nach den Spielen aufhielten – nur wenige Jahre, nachdem dort Erich Mielke und Erich Honecker die Dynamo-Spiele verfolgt hatten.
Unterm Strich haben sie mir das finanziell beste Angebot gemacht.
In der Rückrunde 91/92 absolvierte Rank alle Partien für die Berliner, nach der Saison ging der Verein jedoch Konkurs. Der BSV Stahl Brandenburg und Berlin wären abgestiegen, Brandenburg hatte aber einen finanzkräftigen Sponsor und machte in der Oberliga, also der dritthöchsten Liga, weiter. Blau-Weiß Berlin wurde aufgelöst. „Das war dann mehr oder weniger ein Zusammenschluss: Zehn Spieler aus Berlin und zehn von Brandenburg haben unter Vollprofibedingungen weitergearbeitet.“
Der Verein wollte ihn unbedingt haben, doch Rank zögerte zunächst. Er hoffte auf eine Offerte aus der zweiten Liga. „Unterm Strich haben sie mir aber das finanziell beste Angebot gemacht“, sagt der 51-Jährige. Verdient habe er etwa 50 Prozent mehr als Spieler der dritten Liga im Westen. Außerdem bekam er eine Wohnung gratis.
Während viele ehemalige Berliner Spieler aber weiterhin in der Hauptstadt wohnten, zog Rank in die Stadt Brandenburg – in den fünften Stock eines Plattenbaus. „Als ich damals dorthin gefahren bin, war es ein schöner Tag. Fünf Kilometer vor meinem Ziel wurde es dann immer dunkler, eine riesige Rauchwolke hing über der Stadt.“ Die kam aus 18 Rohren des Stahlwerks, so Rank.
Aber auch andere Eindrücke hat er nicht vergessen: An einem Sonntagmorgen wollten er und seine Lebensgefährtin Pfannkuchen mit Apfelmus essen, nur hatten sie kein Mus mehr. Also fragte er bei einer Frau einen Stock tiefer. Wenn er es ihr einen Tag später sofort wieder zurückbringe, könne er eines haben – aber wirklich nur dann. Rank willigte ein und ging mit ihr in die Wohnung. „Ein ganzes Zimmer war komplett voll mit Konserven“, erinnert er sich. Darunter unter anderem 25 Gläser Apfelmus. „Sie dachte wohl, die ziehen die Mauer bald wieder hoch.“
Im gleichen Jahr, in dem Rank zu Brandenburg wechselte, machte das Stahlwerk der Stadt dicht: „17 000 Menschen waren auf einmal arbeitslos, das war schon extrem“, erinnert er sich. Die Arbeitslosenquote lag bei etwa 50 Prozent. Was dann aber kam, hat ihm imponiert. „Alle Leute waren nach der Wende positiv drauf. Jeder hat versucht, das Beste daraus zu machen und anderen zu helfen.“ Der erstaunliche Zusammenhalt habe sich etwa beim Ausgehen gezeigt: „Wenn man in einer Gruppe essen gegangen ist, hat jeder so lange Geld reingeworfen, bis der Rechnungsbetrag erreicht war.“ Nach jedem Spiel sei die Mannschaft essen und danach in die Disco gegangen – bis sie um fünf Uhr früh rausgeschmissen wurden.
Wenn er sich an die Fans erinnert, hat Rank heute noch ein Glühen in den Augen. Ein Einpeitscher rief durch ein Megafon „Stahl“, die etwa 5000 Fans im Stadion antworteten „Feuer“ – „der Schlachtruf des Stahlwerks“. Das sei eine besondere Atmosphäre gewesen. In Brandenburg habe er sich wohl gefühlt und die beste Saison seines Lebens gespielt, er wurde Torschützenkönig und Publikums-Liebling.
Dort hat er aber auch unter den extremsten Trainern gespielt. Zuerst kam Rolf Schafstall, der als harter Hunde bekannt war. Doch nicht beim BSV. Denn Schafstall wollte zurück zum VfL Bochum, Brandenburg war lediglich eine Art Zwischenstation – und dementsprechend wurde auch trainiert, sagt Rank.
Dann kam Werner Voigt, laut Rank „ein Osttrainer, wie man ihn sich vorstellt.” Mitten in der Saison wurde jeden Tag zwei Mal trainiert, „immer Vollgas, sogar vor den Spielen.“ Voigt hatte zuvor den „Stasi-Club“ Dynamo Berlin gecoacht.
Drei Wochen trainierte die Mannschaft wie verrückt, dann regte sich Widerstand. Der Kapitän ging zum Trainer. Dessen Antwort, nachdem er sich vor der Mannschaft aufgebaut hatte: „Ich hab gehört, ihr seid kaputt. Die Müdigkeit müssen wir rauslaufen.“ So gab es statt einem freien Tag sofort nach dem zweiten Training einen Zehn-Kilometer-Lauf. Niemand habe je wieder nach einem freien Tag gefragt. „Wir waren wie Maschinen“, erinnert sich Rank, „ich konnte immer laufen.“
Das Training war dosierter, aber auch ein bisschen verrückt. Wir haben immer das Gleiche gemacht.
Nach seinem Wechsel in die Bundesliga zu Dynamo Dresden wurde unter Coach Siggi Held – so kam es ihm vor – nur halb so viel trainiert. „Das Training war dosierter, aber auch ein bisschen verrückt. Wir haben immer das Gleiche gemacht“, sagt Rank: mittwochs Torschuss, donnerstags morgens Flanken, und so weiter. „Jedes Hütchen stand immer zentimetergenau auf seinem Platz.“ Gebracht habe es aber etwas: „Wir waren samstags immer top fit.“ Im ersten Jahr erhielt Dynamo Dresden zwar vier Punkte Abzug, verhinderte aber den Abstieg – und das trotz der damals noch gültigen Zwei-Punkte-Regel.
Bei Dynamo spielte Rank unter anderem mit Olaf Marschall zusammen, der später Deutscher Meister mit dem 1. FC Kaiserslautern wurde. Marschall hatte bereits drei Jahre unter Held in Österreich trainiert, „der hat dann insgesamt viereinhalb Jahre das Gleiche trainiert“, so Rank. Beide kamen am 1. Juli 1993 nach Dresden und wohnten die ersten drei Wochen im Hotel. In dieser Zeit sollte eigentlich jeder etwas Eigenes finden.
Marschall hatte ein Wohnhaus mit ausgehandelt, hatte aber keine Möbel. Rank hingegen besaß Möbel, fand aber zunächst keine Wohnung. So zog Rank mit seiner Lebensgefährtin bei Marschall und seiner Frau ein. „Wir haben viel zusammen unternommen und haben uns gut verstanden“, sagt Rank. So gingen die beiden auch zusammen die Einrichtung für Marschalls Haus kaufen. 70 000 DM kostete alles zusammen – und Marschall bezahlte bar.
Dabei war Olaf Marschall der direkte Konkurrent für Rank, beide spielten als Stürmer. „Er war aber fußballerisch so viel besser, so dass klar war, dass er gesetzt ist“, erkennt Rank heute an. Er selbst sei schnell gewesen, habe mehr laufen und schärfer schießen können, „beim Rest war Marschall aber besser“.
Olaf Marschall ging den entgegengesetzten Weg wie Rank: Der gebürtige Sachse wechselte in der Saison nach dem Mauerfall nach Österreich und später, nach nur einem Jahr bei Dynamo Dresden, zum 1. FC Kaiserslautern.
In Ranks zweiter Saison bei Dresden war Horst Hrubesch Trainer, der ihn ins rechte Mittelfeld stellte. Dort gelang ihm auch eines seiner besten Spiele: Gegen Bayer 04 Leverkusen habe er Paulo Sergio, den brasilianischen Nationalspieler, im Griff gehabt. Zudem nahm er in der gleichen Partie Rudi Völler den Ball ab, spielte Sergio aus und legte die zwischenzeitliche 1:0-Führung für Dynamo auf. „Das war ein tolles Erlebnis.“ Trotzdem stieg Dynamo als Tabellenletzter aus der Bundesliga ab. Ein Lizenzentzug führte dazu, dass Dresden in der drittklassigen Regionalliga Nordost antreten musste.
„Eine vogelwilde Zeit“ bei Rot-Weiß Erfurt
Rank wechselte anschließend zum Regionalligisten Rot-Weiß Erfurt – „der einzige Fehler, den ich gemacht habe“, wie er heute sagt. Damals musste er sich zwischen Erfurt und Energie Cottbus entscheiden. Cottbus wurde von Eduard „Ede“ Geyer trainiert, der kurz vor der Wende Coach der DDR-Nationalmannschaft war. „Das war eine verrückte Sache: Er hat seinerzeit die Trainingspläne für alle Teams der ersten Liga in der DDR gemacht.“ Und das seien brutale Pläne gewesen: „Im Osten gab es nur Feuer.“
So einen Trainer habe er aber bereits bei Stahl Brandenburg gehabt – und Erfurt habe ihm das beste finanzielle Angebot gemacht. So wechselte er. Nach nur zwei Monaten ging dem Club allerdings das Geld aus. Sein Gehalt bekam er nur teilweise, „eine vogelwilde Zeit“.
Im Jahr darauf absolvierte er ein Probetraining beim damaligen Zweitligisten KFC Uerdingen 05, ehemals Bayer Uerdingen. „Dienstagnachmittag und Mittwoch früh habe ich super trainiert, Mittwochmittag habe ich dann den Vertrag unterschrieben, der ab Freitag gültig gewesen wäre.“ Doch am gleichen Tag trainierte er noch einmal mit und riss sich fünf Minuten vor Trainingsende das Kreuzband.
Rank trainiert heute einen Kreisliga-Verein
Der Vertrag war hinfällig und Rank ging zehn Monate später zum FC Augsburg, der damals ebenfalls in der Regionalliga spielte. Anschließend wechselte er unter anderem zum VfR Mannheim und zum TSV Crailsheim, heute trainiert er den SV Cronheim in der Kreisliga – das sei eine Riesengemeinschaft, wie eine zweite Familie für jeden.
Nach all seinen Stationen ist Rank deutscher Rekordhalter: Außer in der der 2008 eingeführten Dritten Liga hat er als einziger Spieler in allen zwölf Ligen gespielt und in jeder mindestens ein Tor erzielt. Trotzdem, sagt er rückblickend, habe er seinen idealen Verein nie gefunden. Die Zweite Liga wäre optimal für ihn gewesen.
Auch heute schaut Rank immer mal wieder, wie es bei seinen ehemaligen Vereinen läuft. Dort kennt er nach wie vor den ein oder andern, in Erfurt und Augsburg gebe es immer noch die gleichen Zeugwarte wie vor 20 Jahren. Und er ist immer noch begeistert von der Stimmung. „An Dresden und die Fans habe ich eine super positive Erinnerung.“ Auch heute besucht er ab und zu Dynamo-Spiele: „Die Stimmung ist immer, wenn ich dort bin, überragend.“