Gisela und Meinhard Schmechel lernen sich in einem Ort kennen, der von Zäunen umringt ist. Gemeinsam durchstehen sie schwere Zeiten und meistern Probleme, die heute im vereinten Deutschland kaum vorstellbar sind.
Ein Herz aus Tusche ziert seinen Unterarm. Ein G und ein S sind darin verewigt. „Das G steht für Gisela“, sagt Meinhard Schmechel und verzieht den Mund zur kessen Schnute. „I love you“, steht darunter gekritzelt. Seine Frau – Gisela – lässt ihren Blick zu ihm rüber wandern. „Das war vor meiner Zeit“, sagt sie. Beide kichern.
Die Schmechels sind ein besonderes Paar. Sie scherzen viel, necken sich. In ihrem blumigen Garten sitzen die Schmechels gemütlich in ihren Klappstühlen. Ein Sonnenschirm spendet Schatten. Sie erzählen von ihrer gemeinsamen Geschichte, die vor 50 Jahren in Rüterberg, einem besonderen Ort in der DDR, begann.
Hier war das Leben komplizierter. Ein Zaun trennte die Rüterberger*innen vom Westen und auch vom Osten. Ein Zaun, der zwischen Familien und Liebenden stand. Das Paar erzählt von diesem Zaun und Passierscheinen, vom Prager Frühling und ungewollten Trennungen.
Rüterberg, 1964 : Grenzzäune umrahmen die Halbinsel, die im Südwesten Mecklenburg-Vorpommerns in die Elbe drängt. In einem langen Bogen schiebt sich der Fluss am Dorf vorbei. Die Angst vor der Flucht der eigenen Bürger*innen zeigt sich mit Grenztürmen und Maschendraht. Über zehn Millionen DDR-Mark werden für den Bau der Grenzanlagen ausgegeben. Hier lebt Gisela Siefert. Hier im Sperrgebiet begegnet sie ihrem zukünftigen Mann.
Sie, Verkäuferin im Dorfkonsum, lebt hier seit ihrer Geburt. „Ich kenne den Ort noch ohne Grenzzäune“, sagt die 69-Jährige. Ihr Mann Meinhard kommt als Grenzsoldat aus Züssow bei Oldenburg nach Dömitz, dem Nachbarort von Rüterberg, wo sein Bataillon stationiert ist.
Im Dorfkonsum tauschen die beiden Mitte der 1960er Jahre erste Blicke aus. Er erinnert sich: „Das kann man gar nicht so schön erzählen“, sagt der 72-Jährige mit den Händen auf dem Bauch. Vögel zwitschern im Hintergrund. „Ihr Cousin ist damals umgezogen. Wir Soldaten haben geholfen. Im Konsum hat er dann ein Bier ausgegeben. Sie war gerade einkaufen. Eines Tages habe ich sie angesprochen. Habe gefragt, ob sie mir Zigaretten mitbringt. Später kam sie damit zur Kompanie. So fing alles an.“
Ich musste für einen Besuch in meiner Heimat einen Passierschein beantragen.
Gisela Schmechel
Der Keim der Liebe ist gesät und wächst, wenn auch langsam. Auch weil es die Zeit nicht schneller zulässt. Denn Gisela ist nur selten im Ort und Meinhard oft bei der Kompanie. „Ich habe in Ribnitz-Damgarten in Mecklenburg-Vorpommern meine Lehre gemacht. Den Kontakt zu halten, war schwierig“, erklärt sie. „Wir haben uns viele Briefe geschrieben“, sagt er.
Zwar war Rüterberg ihre Heimat, aber durch den Sperrgebietsstatus „durfte ich das nur als Nebenwohnsitz nehmen. Also musste ich für einen Besuch in meiner Heimat einen Passierschein beantragen. Das war schon sehr kriminell hier damals“, sagt sie.
Die DDR ist für die Dorfgemeinschaft nur noch mit Passierscheinen erreichbar – einzigartig an der innerdeutschen Grenze. Familien sind sich zum Teil so nah und doch so fern.
Die halbe Hochzeit
Das hält die beiden jedoch nicht davon ab, sich am 18. Mai 1968 das Ja-Wort zu geben. Ein Jahr zuvor kehrt Gisela von der Lehre zurück. Eine Ausgangskarte ermöglicht es Meinhard, nun jederzeit aus Dömitz nach Rüterberg zu kommen. Die Beziehung wird enger, aber neue Probleme tauchen auf.
Eigentlich wollen sie am 11. Mai heiraten. „Doch unsere Tochter war im Anmarsch“, sagt Meinhard. „Gisela hat gerackert und die ganzen Vorbereitungen getroffen. Doch wie das Leben so spielt, hat unser Kind nicht gewartet.“ Vier Tage früher kommt Manuela, ihre erste Tochter, zur Welt. Die Hochzeit fällt ins Wasser. „Wir mussten alles abblasen. Die Trauung mussten wir auf den 18. Mai verschieben.“
Und das ist ein Problem. Meinhards Eltern leben nicht im Sperrgebiet. Um bei der Hochzeit dabei zu sein, müssen sie Passierscheine beantragen, mindestens sechs Wochen im Voraus. Und das tun sie für den 11. Mai. Die Scheine aufgrund der speziellen Umstände nun aber auf den 18. Mai umschreiben zu lassen: „Keine Chance“, erinnert sich Meinhard.
Hochzeitsfotos verboten
Das Paar heiratet standesamtlich ohne Familie. Die kirchliche Trauung im Kreise der gesamten Familie findet nicht statt. Auch auf das Hochzeitfoto muss das Paar verzichten. Fotos sind im Grenzgebiet streng verboten. Viel zu gefährlich. „Es hätte sofort der Verdacht bestanden, dass man den Grenzzaun fotografieren will.“
Am 22. August wollen sie es erneut versuchen, dieses Mal in Züssow, zuhause bei Meinhards Familie. Aber die Zeit macht dem Paar erneut einen Strich durch die Rechnung. „Gerade als ich zur Kirche wollte, bekam ich einen Stellungsbefehl. Ich sollte sofort zurück zur Truppe nach Dömitz“, sagt Meinhard. Doch er bleibt noch bis zum nächsten Morgen. Dieses Mal gibt es auch das begehrte Hochzeitsfoto.
Heute lacht er darüber. Damals rücken die Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei ein. Es ist der Gipfel des Prager Frühlings. Und das am Tag der Hochzeit. „Das haben wir uns aber dieses Mal nicht nehmen lassen“, sagt er. An der Grenze zum Westen muss er fortan über Wochen bleiben. Ausflüge nach Hause sind nicht gestattet. Auch nicht am Tag, an dem seine Tochter getauft wird. Tag und Nacht liegen die Soldaten in Dömitz mit der Maschinenpistole im Anschlag am Pfosten.
Gisela darf ihren Mann nicht besuchen. Am Grenztor ist Schluss. Mit dem Fahrrad fährt sie immer wieder zum massiven Zaun, um ihren Mann zu sehen. Die Blicke der beiden: gestört durch ein Mosaik aus Stahl. Sich berühren? „Unmöglich.“ Ein Kuss? „Keine Chance“, sagt er. Stets im Kopf der beiden: „Angst. Wir wussten nicht, was passieren wird“, sagt sie und wischt ein paar Krümel vom Gartentisch. Die haben uns da nicht durchgelassen.
Doch das Band zwischen den beiden ist 1969 schon fest und es bis heute geblieben. Der Grenzsoldat Meinhard Schmechel hätte nie gedacht, dass er in Rüterberg bleiben würde. Doch er verliebt sich. Rüterberg, das Sperrgebiet, wird auch seine Heimat.
Auf dem Trinknapf im Garten des Paares landen zwei Vögel und ziehen die Aufmerksamkeit der beiden auf sich. „Schön, guck mal, Gisela“, sagt er und streift über ihren Arm. „Da sind sie ja wieder“, entgegnet sie aufgeregt. „Im Nachhinein“, sagt Meinhard Schmechel nach kurzer Pause, „muss ich sagen, war es die richtige Entscheidung. Die für die Liebe.“