1989 organisierte Jugendpfarrer Michael Wolf den bislang größten Protest, den eine kleine Stadt in der Lausitz je gesehen hat. Auch jetzt will er die Massen wieder auf die Straße bringen.
“Kinder an die Macht” steht auf dem Plakat vom vierjährigen Richard. Sein Vater Michael Wolf zeigt auf das Foto und gemeinsam überlegen sie, wer das Schild gemalt hat. “Das muss Mutti gewesen sein”, sagt Richard. Das Bild ist 30 Jahre alt, aber angesichts protestierender Kinder und Jugendlicher topaktuell. Jeden Freitag gehen sie seit Monaten auf die Straße und fordern ein Umdenken in der Klimapolitik. Richards Vater Michael ist als Pfarrer damals wie heute an den Protesten in Finsterwalde, einer kleinen Stadt in der brandenburgischen Lausitz, maßgeblich beteiligt.
Finsterwalde ist eine eher verschlafene Gemeinde. Große Politik wird hier nicht gemacht, aber durchaus kritisch beobachtet. Doch selbst in Finsterwalde haben etwa 300 Schüler*innen und Erwachsene am globalen Klimastreik am 20. September 2019 teilgenommen. Und auch schon Ende der 1980er Jahre gingen nicht nur in Berlin Tausende auf die Straße, sondern auch in “Dusterbusch”, wie die Stadt heute manchmal scherzhaft genannt wird. „Wir dachten uns ‘das was die in Berlin können, können wir hier auch’”, erklärt Michael Wolf rückblickend. 1987 gründete er zusammen mit anderen Gemeindemitgliedern einen Umwelt- und Friedenskreis, der nur etwa sieben Mitglieder hatte. Schon im Jahr drauf waren es zehn, die an einem Friedensgebet für inhaftierte Regimekritiker*innen teilnahmen. Klingt nach nicht viel, doch “der Anfang war gemacht”, wie Michael Wolf stolz dazu sagt.
Flucht und die Klimakrise machen vor Mauern nicht Halt.
Michael Wolf, Pfarrer
„Zu unserem Friedensgebet am 8. November 1989 kamen Menschen über Menschen. In der Trinitatiskirche hatten sie keinen Platz mehr. Es waren Tausende“, beschreibt Wolf. In Zeitungsberichten ist von 12.000 Demonstrant*innen die Rede. Finsterwalde hatte damals etwa 24.000 Einwohner*innen. „Danach haben wir immer gesagt, dass die Mauer am 9. November gefallen ist, weil wir einen Tag zuvor auf die Straße gegangen sind“, sagt Wolf scherzhaft.
Das Foto, auf dem der damals 32-jährige Jugendpfarrer mit seinem Sohn zu sehen ist, wurde am 18. November 1989 gemacht. Die Euphorie, die durch die Menschen ging, war noch nicht ganz verebbt und trotzdem mischten sich bereits vorsichtig warnende Stimmen unter die Demonstrierenden. „Wir haben die Menschen dazu aufgerufen, Ruhe zu bewahren, vorsichtig zu bleiben und kritisch zu sein“, sagt Wolf.
30 Jahre später ist das Plakat „Kinder an die Macht“ aktueller denn je. Michael Wolf und Sohn Richard unterstützen die Klimaproteste „Fridays for Future“ zu 100 Prozent und hoffen, wie schon in der Vergangenheit, auf ein Umdenken in der Gesellschaft. „Damals war allen klar, dass es so nicht weitergehen kann und man für sein Recht und das Recht in Freiheit zu leben, auf die Straße gehen muss. Die gleiche Stimmung brauchen wir auch heute wieder“, sagt Wolf. Denn das Recht zu leben betrifft seiner Meinung nach nicht nur uns, sondern auch folgende Generationen – die es schwer haben werden, wenn wir mit unserer Natur jetzt nicht besser umgehen. “Wir haben nur eine Erde. Und die gilt es zu schützen”, sind sich Richard und Michael Wolf einig.
Vieles hat sich seit den Protesten 1989 verändert. Die Menschen dürfen reisen und sagen, was sie möchten. Sie leben in demokratischen Verhältnissen, in der Meinungs- und Pressefreiheit gelebt werden und jede*r kritisch mitdenken und mitreden darf. „Den Menschen“, so Michael Wolf, „geht es vermutlich so gut wie noch nie.“ Dennoch versuchten „Demagogen“, sagt er, von der AfD all dieses Gute wieder umzukehren. Was sie und viele andere nicht verstünden: „Flucht und die Klimakrise machen vor Mauern nicht Halt.”