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Dirk Brauns im Interview: „Das ist eine Art von Trauma, was da existiert“

  • 9. November 2019
  • Jana Reimann-Grohs
Rainer Brauns mit dem Chef-Historiker des BND, Bodo Hechelhammer, und Buchautor Dirk Brauns (v.l.n.r.) im Anschluss an die Lesung “Die Unscheinbaren” vor der Berliner BND-Zentrale, am 19. September 2019. Foto: privat

Die Spione aus der Familie Brauns sind längst tot. Ihr Enkel Dirk Brauns nimmt im Spionage-Roman “Die Unscheinbaren” ihr Schicksal zum Anlass, über ihre Verwicklung in ost- und westdeutsche Nachrichtendienste zu schreiben.

Herr Brauns, warum ist ihr Buch erst 2019 herausgekommen ?

Dirk Brauns: Ich habe so eine innere Liste mit Geschichten, von denen ich weiß, dass ich die machen muss. Die Reihenfolge wird im Grunde durch Zufälle bestimmt. Beim aktuellen Buch waren es wirklich kleine Auslöser. Zum Beispiel eine Begegnung im Restaurant mit einem berühmten Schauspieler, den wirklich alle kennen und der trotzdem oft nicht erkannt wird: Joachim Król. Das erste Kapitel endet so, dass die Hauptfigur Martin Schmidt sagt: „Meine stärkste Eigenschaft ist offenbar, übersehen zu werden“. Das geht auf diesen Schauspieler zurück und ist in ästhetischen Fragen überhaupt nicht belanglos. Es steckt aber noch etwas dahinter: Ich bin 2015 gefragt worden, ob mein Vater nicht bei einem Seminar in Meißen über seine Geschichte sprechen würde. Das hatte er noch nie wirklich getan. Mein Vater sollte über die menschlichen Hintergründe nachrichtendienstlicher Tätigkeit sprechen und aus der Familienperspektive berichten: Was es bedeutet, wenn die Eltern so etwas machen. Es war der Beginn unseres Schulterschlusses.

Sie verarbeiten die Agententätigkeit ihrer Großeltern …

Der Agent Erwin Schmidt in meinem Roman hat Ähnlichkeit mit meinem Großvater. Er ist das Auge des Taifuns. Um ihn herum ist die Geschichte gebaut. Schmidts Sohn Martin sucht wie sein Sohn nach Erklärungen und versucht, sich ein paar Puzzlestücke zurechtzurücken. Aber eigentlich bleibt er ein Rätsel. Die rein operative Seite des Geheimdienstes taucht im Roman eher wenig auf. Vom nachrichtendienstlichen Standpunkt aus, ist es vollkommen hirnrissig, dass man seinen Luxus auch zeigt, wie es meine Großeltern gemacht haben (Schweizer Uhren, neues Auto usw.). Ein Agent ist wie ein permanenter Schauspieler, der nie Beifall bekommt. Wenn er ihn bekommt, ist er raus. Solch ein Leben ist nicht gut für die Psyche und echt schwierig. Da sind Psychosen vorprogrammiert.

Das Buch hat tatsächlich ein Schweigen gebrochen.

Welche Rolle spielt ihr Vater im Buch?

Ich habe das Buch mit meinem Vater zusammen recherchiert und ihn sehr viel gefragt. Es war ja klar, ich würde hier eine große Nähe herstellen. Sowohl in echt, er und ich, als auch im Buch. Ich würde ihm damit sehr auf den Pelz rücken. Das ist ja eine Art von Trauma, was da existiert, heikles Terrain. In meiner Fiktion muss ich mich von ihm als realer Person abgrenzen. Insofern habe ich eigentlich nur im Prolog die originale Ausgangssituation der Verhaftung im Februar 1965 genutzt. Alles andere an Geschichte, Ablauf, Plot, ist wirklich – abgesehen von irgendwelchen Rückerinnerungen – ausgedacht. Die Hauptfigur ist nicht mein Vater: Rainer Brauns. Schon allein von den biografischen Eckdaten: Martin Schmidt geht mit seiner Mutter in den Westen und wird Tierarzt. Mein Vater bleibt mit meiner Mutter, beide kennen sich seit ihrem 14. Lebensjahr, in Ost-Berlin und lebt ein ganz anderes Leben. Was dieses Buch trägt, ist dieser Konflikt zwischen Mutter und Sohn: ein Duell zweier Spione. So wollte ich es auf Familienebene inszenieren.

Gleicht die Spionin im Buch der wirklichen Mutter ihres Vaters?

Von der emotionalen Temperatur her, aber meine Großmutter hat nie in einem Altersheim bei München gelebt. Sie ist längst tot. Solche Mutter-Sohn-Gespräche hat es auch nie gegeben. Es gab nur diese zum Teil unausgesprochenen Konfrontationen. Eiseskälte von ihrer Seite und ein Anrennen um Erklärungen seinerseits.

Das Buch hat, was dieses Thema Spionage und unsere Familie angeht, tatsächlich ein Schweigen gebrochen. Es wurde niemals darüber gesprochen, im Sinne von Aufarbeiten oder „wir müssen da nochmal was klären“ oder so. Es war immer bekannt – eine Information, die wir alle hatten. Es stand in den Kaderakten und es war in unseren Köpfen, aber war überhaupt kein Thema.

Buchcover “Die Unscheinbaren”
(Galiani-Berlin 2019)

Zum Buch
Der achtzehnjährige Martin Schmidt erlebt 1965 in der DDR mit, wie seine Eltern verhaftet werden. Sie sollen jahrelang für den BND gespitzelt haben. Für den jungen Mann bricht eine Welt zusammen. Er hat nichts von alledem gewusst. Die Enttarnung wirkt sich auch massiv auf seinen weiteren Lebensweg aus – Verrat hat seinen Preis.

Zu welchem Zeitpunkt haben Sie davon erfahren?

Bereits als kleiner Junge wusste ich das. Meine Großeltern waren ja auch nicht aus der Welt. Sie kamen oft zu Besuch. Das sind ganz frühe Kindheitserinnerungen: Ich komme nach der Schule nach Hause und zu meiner Überraschung ist Besuch da. Wir wohnten Parterre. Ich rieche schon im Hausflur Kaffee, Zigaretten. So etwas gab es eigentlich nur, wenn meine Eltern Partys gefeiert haben, Silvester oder so. Also wusste ich: Meine Großeltern sind da. Ich habe jetzt keine Erinnerung an Gespräche. Aber sie gaben mir Forumschecks und ich bin dann zum Intershop gerannt und habe mir Matchbox-Autos gekauft. Ich wusste auch, warum sie auf der anderen Seite der Mauer lebten. Das war schon alles klar.

Haben Sie bei ihrem Vater ein Tabu-Thema angesprochen?

In gewisser Weise ist mein Vater einfach ein typischer Mann seiner Generation. Auch wenn er es auf anderer Ebene gar nicht ist. Er schien immer stark. Ich habe ihn nie in Frage gestellt. Aus der jetzigen Perspektive sieht es so aus, dass vieles von dem, was an meinem Vater besonders ist, mit dieser Agentengeschichte zusammenhängt. So ist die spezielle Atmosphäre dieses Buches entstanden.

Wo ist die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion?

Die Geschichte surft sehr nahe an der Realität. Das ist wahrscheinlich nicht zu verhindern, dass die Leser das in eines packen. Wenn man den Roman als eine Art von Maschine sieht: Da gibt es so viele Einzelteile gelebten Lebens. Aber das alles wurde auseinandergeschraubt und dann neu zusammengesetzt. Das andere ist, die Konstruktion mit Leben zu füllen. Das ist also keine reale Lebensgeschichte. Es nutzt nur die Lebensenergie, die immer da ist. Wenn man über Familie schreibt, muss es einfach knallen. Die Figuren sind ja da.

Ein Mann im schwarzen Pullover stützt seinen rechten Ellenbogen auf die Rücklehne seiner Sitzbank im Café und stützt dabei seinen Kopf ab. Die linke Hand greift zu einem Glas Orangensaft, das vor ihm auf dem Tisch steht. Er lächelt in die Kamera. Im Hintergrund ist ein gemaltes Bild zu sehen, außerdem zeigt der Blick aus dem Fenster (rechts) ein Wohnhaus. Draußen ist das bläuliche Tageslicht noch hell, drinnen strahlt gelbliches Kunstlicht. Es dämmert leicht.
Gespräch mit Dirk Brauns in einem Café am Münchner Stadtrand. Foto: Jana Reimann-Grohs

Trotzdem gibt es sehr authentische Szenen. Zum Beispiel, als Martin Schmidt in seiner Stasi-Akte liest …

Ja, klar. Ich war ja in den Archiven. Auf der einen Seite hast du etwas, was wirklich passiert und authentisch ist. Der Leser merkt: Das ist nicht ausgedacht, so ist es gewesen. Aber auf der anderen Seite ist Literatur ja noch ein bisschen mehr: Sie nimmt dich mit auf eine Wolke.

Was mussten Sie im Buch unkenntlich machen oder weglassen?

Es gibt mehrere Sachen, auf die ich verzichtet habe, weil sie eine ganz andere Geschichte erzählen würden. Ganz bewusst habe ich vom schwierigen Verhältnis meines Vaters zu seiner Mutter entscheidende Dinge nicht erzählt. In Wirklichkeit steckt eine sehr viel tiefere Kränkung dahinter, als dass ihn seine Eltern mit dem Thema Spionage allein gelassen haben und so verantwortungslos waren. In jeder Familie gibt es diese unausgesprochenen Verletzungen, die man sich aber für eine große alltägliche Gemeinsamkeit verzeiht. Literatur erzählt ja das Bitterste und das Schönste, sie macht ein bisschen weiter auf. Das ist ja das Tolle daran, dass man so viele fremde Leute wirklich kennenlernen kann in guten Romanen.

Wie haben ihre Eltern auf das Buch reagiert?

Obwohl wir als Familie natürlich auch unsere Probleme haben, gehen wir fair miteinander um. Wir könnten uns nie vorstellen, uns zu entzweien. Alles im Vorfeld ist natürlich durch Absprachen geregelt worden: Mit meinem Vater zusammen habe ich recherchiert, wir sind nach Blankenburg gefahren, ich habe ihn zu seiner Kindheit ausgefragt. Das Haus in Blankenburg war schon immer Thema in meiner Familie, weil meine Eltern es ja verkaufen mussten. So richtig erkundet habe ich es erst jetzt: Ich bin da lang gegangen, habe mit alten Schulkameraden von meinem Vater und Nachbarn gesprochenen. Und dann habe ich versucht, das alles zu erfühlen. Ich habe erst gar nicht mitbekommen, dass das ganze Projekt schon während der Recherche für meinen Vater heikel wurde. Ich war so im Rausch. Meine Mutter hat mich dann angerufen, ich solle mich etwas zurückziehen, weil mein Vater schlecht träume und schlecht schlafe. Es käme wieder bei ihm hoch, sagte sie mir. Das war für mich die wichtigste Linie bei dem Projekt, die ich überschreiten musste. Es war nicht der Verlag – die größte Hürde waren meine Eltern. Als ich ihnen das Manuskript zum Lesen gegeben habe, war ich unfassbar aufgeregt. Und ich habe mich gefreut, dass sie es angenommen haben.

Zur Person
Der 1968 geborene Dirk Brauns ist im Ost-Berliner Stadtbezirk Berlin-Pankow aufgewachsen. Schon als Jugendlicher begann er zu schreiben. Über Umwege ist Brauns zum Journalismus gekommen und war lange in Warschau, Peking und Minsk als Zeitungskorrespondent tätig. Heute lebt der Wahl-Bayer vom literarischen Schreiben. Seit 2013 ist er mit Frau und Kindern in Münchens ländlicher Umgebung zuhause. Seinem Debüt „Im Inneren des Landes“ (2013) und der zweiten Erzählung „Wir müssen dann fort sein“ (2016) folgte der erste Spionage-Roman „Die Unscheinbaren“ (2019).

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Jana Reimann-Grohs
Jana Reimann-Grohs

Typisches Wendekind: 1976 in Ost-Berlin geboren und aufgewachsen im vereinigten Deutschland. Seit Oktober 2017 absolviert sie bei der Märkischen Oderzeitung ein multimediales Redaktionsvolontariat. Als Brandenburger Lokalreporterin macht sie ständig neue Grenzerfahrungen mit eingeschränktem Internet.

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