Als Experte für Wirtschaftsdelikte saß der Stuttgarter Staatsanwalt Hans Richter in der Berliner Treuhand-Zentrale im Mittelpunkt. Er und sein Team deckten Skandale innerhalb der Treuhand in Milliardenhöhe auf und leiteten hunderte Ermittlungsverfahren ein, wie er – mittlerweile in Rente – berichtet. Doch dass viele Unternehmer scheiterten, hatte auch andere Gründe.
Gab es eine kriminelle Energie von Westunternehmer nach der Wende?
Hans Richter: Es gab in der Tat eine kriminelle Energie. Viele haben sich Unternehmen unter den Nagel gerissen, das Know-How und die Ressourcen ausgenutzt und das Unternehmen gezielt gegen die Wand gefahren. Zum anderen ist zu sehen, dass ein Scheitern des Unternehmens auch ganz objektive Gründe haben kann, sei es aufgrund des Managements oder weil die Marktsituation schwierig war. Die Hoffnung von Westkonzernen in die Ostmarkt war groß, neue Märkte haben gewunken. Sie wurde aber auch enttäuscht.
Wie konnte diese Enttäuschung vermieden werden?
In der Anfangsphase war ein Problem, dass die Produkte unter dem alten DDR-Label nicht verkaufbar waren. Wir haben die Erfahrungen gemacht, im Spezialmaschinenbau – es gab gute Beziehungen mit Russland, mit der Türkei. Mit dem Zusammenbruch der DDR hat die Treuhand verzweifelt versucht, die Produkte zu halten. Die Slowakei und Russland wollten unbedingt Westmaschinen haben.
Welche Rolle spielten Westunternehmer nach der Wende?
Es ist kein Glück, ein Ostunternehmen zum Erfolg zu führen. Sondern es war eine Frage des Marketings, man braucht einen Markt, einen innovativen Gedanken und ein gutes Management. Das fehlte oft. Genau wie das Rechnungswesen, Produktions-, Absatz- und Kalkulationsprozesse. Und das brachten die Westunternehmer.
Wie reagierten die Ostdeutschen?
“Wir arbeiten auch hart, sind doch nicht dümmer”, haben viele Ostdeutsche gesagt. Sie sind nicht schlechter, aber es gab Nachholbedarf. Es ist kein Zufall, dass die DDR gescheitert ist. Die Wirtschaft war ineffizient. Es gab ein starkes Beharrungsvermögen, weil die Westunternehmen mit viel weniger Mitarbeitern ausgekommen sind.
Erinnern Sie sich an ein konkretes Beispiel?
Ein Unternehmen aus Sachsen hat Saft hergestellt. Ein Schwabe hat es übernommen. Der Schwabe hatte mit 300 Mitarbeitern eine vergleichbare Produktpalette wie das sächsische Unternehmen mit 1800 Mitarbeitern. Allein 400 waren mit der Erhitzung beschäftigt gewesen, weil das mit Braunkohle gemacht wurde. Im Westunternehmen lief die mit Strom. Im Einvernehmen mit der Treuhand durfte der 800 Leute entlassen, das hat für Frust gesorgt. Aber er musste Westlöhne zahlen. Es machte eben keinen Sinn, diese Arbeitskräfte zu erhalten.
Waren Westunternehmer Gewinn oder Verlust?
Es gab eine ganze Reihe von Westunternehmern, die insgesamt gescheitert sind, auch wenn es vorher vernünftig gelaufen ist. Das lag daran, dass sie mit der Integration nicht klargekommen sind. Es sind viele gescheitert, weil sie den Markt nicht richtig eingeschätzt haben. Trotzdem brachten sie Know-How, und es gab auch Erfolgsgeschichten. Das erforderte aber einen langen Atem, vor allem in der ersten Zeit. Das zeigt das Beispiel in Neuzelle.